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Sterbfritzer Dorfchronik
Sterbfritzer Dorfchronik

Gesellschaftlicher Wandel

Geschichtliche Umbrüche, die zu Veränderungen in der Gesellschaft sowie der sozialen und kulturellen Struktur führten:

 

 

 

Einleitende Vorbemerkungen

von Ernst Müller-Marschhausen

 

In dieser Abteilung werden geschichtliche Umbrüche dargestellt, welche die soziale und kulturelle Struktur unseres Dorfes und mit ihr die Mentalität seiner Menschen sowie den Charakter des Zusammenleben nachhaltig verändert haben. Tiefgreifende Zäsuren dieser Art sind in der Geschichte unseres Dorfes z. B. Kriege, Migrationen, besondere Naturereignisse, Pandemien, religiöse Umwälzungen oder Innovationen in Technik und Wirtschaft.

 

 

Unser Dorf im Wandel von 1200 Jahren – Wendepunkte

 

Sterbfritz hatte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit um die 800 Einwohner, im
19. und 20. Jahrhundert rund 1200. Das war auch der Stand um 1930. Von den 1200 waren rund 100 Juden. Viele ihrer Familien, wie die Schusters und Hechts, waren „alte“ Sterbfritzer und konnten ihre Familiengeschichte fast ebenso weit zurückverfolgen wie der dörfliche „Uradel“, zu dem die Hartmanns, Müllers, Simons und Eulers gehörten, und die Heils, Strotts, Sperzels und Merxe, alle im ersten Sterbfritzer Kirchenbuch von 1683 alle genannt. Die Sterbfritzer Juden wurden vom nationalsozialistischen Deutschland verfolgt und vertrieben, 30 von ihnen ermordet. Nur einer der Überlebenden kehrte nach dem Krieg zurück: Alexander Kohn.

 

Gelegentlich erschien in Sterbfritz eine Familie von „draußen“, die dann aber nur für eine begrenzte Zeit hier lebte. Es waren z. B. Förster, Apotheker, Pfarrer und Lehrer und im Zuge des Eisenbahnbaus und der Gründung von Fabriken später Bahnmeister und Industriemeister. Sie blieben „Fremde“, in der Dorfgemeinschaft. Einige ihrer studierten Söhne brachten es „draußen“ als Wissenschaftler, Ärzte oder Politiker zu einigem Ansehen und fanden sogar Erwähnung in Lexika, unter anderen der Arzt und Anthroposoph Ludwig Noll, Namensgeber der Klinik für Psychiatrie in Kassel. In ihren Biographien steht als Geburtsort Sterbfritz, aber „richtige“ Sterbfritzer waren sie nie.

 

Seit jeher nennt man die Einwohner der Dörfer zwischen Rhön und Spessart die „armen Hansen“. Wenn eine Folge nasser, kalter Sommer das Getreide verfaulen ließ und zu Hunger und Verschuldung führte, sahen auch manche Sterbfritzer keinen anderen Ausweg, als ihre Habseligkeiten zu packen und ihre Heimat für immer zu verlassen. Sie wanderten aus. Es gab in den letzten Jahrhunderten immer wieder mal eine Auswanderungswelle: Im 18. folgten einige Familien dem Ruf Katharinas der Großen und emigrierten nach Rußland, an die Wolga, im 19. Jahrhundert machten sich einige auf die Reise in die neue Welt, und in den Hungerjahren nach dem Zweiten Weltkrieg zog es ein Dutzend Sterbfritzer nach England, nach Amerika oder Australien.

 

Viele Perioden in der Geschichte unseres Dorfes verliefen gemeinhin ohne Großereignisse, welche die Menschen als Wendepunkte in ihrem Alltag erlebt hätten. Die Struktur der kleinbäuerlichen Dorfgemeinschaft mit ihren Bräuchen und Traditionen war statisch und festgefügt, und die immer gleiche Arbeit in Haus und Hof und Feld bestimmte die Alltagswelt und das Zusammenleben der Menschen, gleichförmig und gesetzmäßig wie der Lauf der Natur. Sie blieben ihr Leben lang zumeist innerhalb der Grenzen des Dorfes. Blutauffrischung kam aus dem überschaubaren Heiratskreis, aus den benachbarten Dörfern wie Mottgers, Breunings, Weichersbach und Oberzell. Viel weiter traute man sich nicht hinaus. In drei Jahrhunderten gab es nur drei Heiraten mit einem Partner aus dem fernen Schlüchtern, nach der Reformation nicht eine einzige Heirat mehr zwischen Partnern aus Sterbfritz und dem katholischen Weiperz.

 

Das blieb so bis zum Ende des 19. Jahrhunderts:

 

Im Jahr 1873 öffnete sich für Sterbfritz das Tor in die weite Welt: Die Eisenbahnstrecke zwischen Fulda und Jossa nahm ihren Betrieb auf. In ihrer Folge hielten Technik und Moderne Einzug in unser Dorf. Es war ein Umbruch, der die Dorfgemeinschaft veränderte wie kein anderes Ereignis in den Jahrhunderten zuvor.

 

Und die andere Jahreszahl, die nicht nur eine Zäsur unter anderen, sondern eine Zeitenwende schlechthin markiert und den Charakter des Dorfes am nachhaltigsten veränderte, ist 1945:

 

Nach Kriegsende kamen zu den 1200 Alteingesessenen 800 Neubürger, ein immenser Strom von Flüchtlingen und Vertriebenen - die Zarnacks, die Seiferts, die Schlattners, die Währers und Heberlings, die meisten von ihnen katholisch. Und mit den Jahren entwickelten sich die Neuen aus Ostpreußen, aus Schlesien, aus dem Sudetenland oder aus Ungarn zu bodenständigen Sterbfritzern, die zusammen mit den Alt-Eingesessenen den guten Ruf unseres Dorfes wahren und es erfolgreich in die Zukunft führen.

 

Sept. 2020

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