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Sterbfritzer Dorfchronik
Sterbfritzer Dorfchronik

Das Haus Reinhard

Richard Reinhard und das Haus in der Icasstraße 2 stehen für die zahnärztliche Geschichte in Sterbfritz und Umgebung.

 

um 1919
um 1951

 

Seemeweg 4, Bahnhofstrasse 3, jetzt Icasstrasse 2 sind die bisherigen Adressen des großen Backsteinhauses, das um 1909 als Verwaltungsgebäude geplant, aber als solches nicht genutzt wurde. Zuerst war es an einen Lehrer vermietet, 1918 hat Richard Reinhard das Haus von Frau Beringer gekauft und 1920 seine Praxis eröffnet.

 
Mitte Richard Reinhard

Richard Reinhard, am 23.06.1893 in Dietershan geboren, besuchte nach der Volkschule ein Gymnasium in Holland. Während seiner Ausbildungszeit hat er als Assistent von Zahnarzt Kapp in Fulda folgende Praxen versorgt: montags Geisa, dienstags Sterbfritz, mittwochs Schlitz, donnerstags Fulda, freitags Gersfeld, samstags Bischofsheim, sonntags Crainfeld. Als Transportmittel stand ihm ein Fahrrad zur Verfügung.

 

Während des 1. Weltkrieges wurde Richard Reinhard in der Schlacht bei Verdun verwundet, konnte aber nach seiner Genesung wieder arbeiten und war einige Zeit in St. Petersburg in einer Praxis tätig. Anfang 1920 hat er sich in Sterbfritz selbstständig gemacht und betreute von hier aus noch Zweigstellen in Uttrichshausen und Heubach, später noch in Jossa.

 

Die Familie Reinhard und die Praxis wurden langsam aber stetig größer. Acht Kinder wurden geboren, in der Praxis wurden Assistenten und Techniker angestellt, später wohnten die Schwiegereltern Weismantel aus Obersinn mit in dem Haus, so saßen täglich ungefähr fünfzehn Personen am Tisch. Der Haushalt wurde von der großartigen Babette Schubert geführt, die auch in der schlechten Zeit immer einen Weg fand, den Hunger aller Bewohner zu stillen. In einem Stall hinter dem Haus gab es eine Kuh, Ziegen, Schweine, Enten und Hühner. Während des Krieges war dies überlebenswichtig - regelmäßig wurde „schwarz“ geschlachtet. Als Richard Reinhard in einem Geschäft Gewürze einkaufte, hatte er nicht bemerkt, dass hinter ihm ein Polizist im Laden stand. Auf die Frage des Beamten, wozu er die Gewürze brauche, antwortete er: „Ich will schwarz schlachten!“ Der Polizist: „Wenn ich nicht wüsste, dass Sie der Zahnarzt sind, würde ich es glauben“. Richard Reinhards schlagfertige Antworten und sein Wortwitz waren sein Markenzeichen, woran sich noch heute viele Sterbfritzer schmunzelnd erinnern.

 

Am Schlachttag wurde der Geruch im Haus mit Weihrauch überdeckt. Jeder dachte an Rituale in einem gut katholischen Haushalt und so fiel diese List nicht auf.

Die Praxis wurde im 2. Weltkrieg manchmal zweckentfremdet. So hat der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Nuernberg, der in Ramholz eine Praxis führte, beim Zahnarzt an einem Morgen Frau Reinhard und einer Tochter die Mandeln herausgenommen und einem Sohn die abstehenden Ohren operiert.

 

In der Nazizeit hat Richard Reinhard viele Zwangsarbeiter und Juden aufgenommen, zahnmedizinisch behandelt und mit Lebensmitteln versorgt.
Er und seine Familie haben auf Grund ihrer christlichen Weltanschauung massive Bedrohungen hinnehmen müssen, er gab seine Haltung nicht auf und hat verfolgten und bedrängten Menschen geholfen.

 

Ein Dokument für seine Hilfsbereitschaft ist der Brief und die Tonaufnahme von Herrn Kuhn, dessen Mutter als Flüchtling in Oberzell einquartiert und mittellos war. Sie erhielt von Richard Reinhard kostenlos ein Gebiss, das ihr Leben lang gehalten hat.

(Siehe Brief v. 26.11.2014 und orig. Tonaufnahme von Frau Kuhn kurz vor ihrem Tod.)

 

 

 

Tonaufnahme Frau Kuhn: Ein Besuch beim Zahnarzt
Frau Kuhn (Gebiss) MP3.mp3
MP3-Audiodatei [6.2 MB]
Richard Reinhard mit Angestellten, ca. 1928

 

 

 

Im und nach dem Krieg waren täglich bis zu hundert Patienten zu versorgen. Hier praktizierten als Assistenten zuerst Reinhards Bruder Sturmius, danach Otto Döring, Reinhard Settnik, Herbert Chaika, Heiner Bäuerlen und andere. Die Patienten kamen bis von Gemünden und saßen manchmal, außer im Wartezimmer, auf den Treppen bis zur Wohnung im 1. Stock.

Richard Reinhard mit Töchtern und Söhnen 1978

Die Kinder der Familie wurden flügge, besuchten verschiedene Schulen und Internate, zogen von Sterbfritz fort. Die älteste Tochter Annemarie heiratete 1946 den Zahnarzt Otto Döring, der die Praxis 1965 übernahm.

 

Mit 72 Jahren fühlte sich Reinhard noch zu jung für die Rente und eröffnete in Zeitlofs eine Praxis, die er bis zu seinem 86. Lebensjahr führte. Danach widmete er sich seinem großen Hobby, dem Garten.

Es war fast unmöglich dem Haus einen Besuch abzustatten, ohne dass man eine ausführliche Gartenführung geboten bekam. Es war schwer, sich diesem Ritual zu entziehen.

 

Seine Spaziergänge waren gefürchtet: Sie gingen von Sterbfritz aus in irgendein Dorf in naher oder weiter Entfernung. Dort hat er in einer Gaststätte gut gespeist, die Leute mit seinen amüsanten Geschichten unterhalten und dann zu Hause angerufen, dass man ihn abholen soll. Dabei mussten die Abholer oftmals ihnen unbekannte Orte auf der Landkarte suchen. Wanderungen von 30-40 km Distanz waren keine Seltenheit. Bis zu seinem 93. Lebensjahr konnte er seine Spaziergänge genießen und seinen Garten pflegen.

 

Nach einem erfüllten Leben ist Richard Reinhard 1991 im Alter von 98 Jahren verstorben.

 

 

Erstellt im November 2017 von Bernd Döring (Enkel von Richard Reinhard)


Quellen: Familienbücher und Erzählungen Familienangehöriger, überwiegend Annemarie Döring

 

Weblinks:

Richard Reinhard - Ein stiller Held im Dritten Reich, von Ernst Müller-Marschhausen

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