von Dirk Ebenhöch
Eine ortstypische Tracht für Sterbfritz gab es nicht!
Wir sprechen heute von der Bergwinkeltracht. Dieses Trachtengebiet deckt sich in etwa mit dem alten Landkreis Schlüchtern. In Sterbfritz wurde die Tracht früher abgelegt als in den Nachtbardörfern. Dies hat wahrscheinlich zwei Gründe: die frühe Industrialisierung und der hohe Anteil der jüdischen Bevölkerung im Dorf, die sehr früh schon städtische Kleidung bevorzugte.
Für den Beginn der Entstehung der sogenannten Volkstrachten als weit verbreitetes Kleidungsverhalten wird von Volkskundlern die Zeit nach dem Bauernkrieg angenommen. Die Kleiderordnungen nahmen in dieser Zeit immer größere Ausmaße an. Als Gegenbewegung versuchte das aufstrebende Bürgertum aber, mit der Prunksucht des Adels mitzuhalten. Jede soziale Schicht eiferte – den Kleiderordnungen zum Trotz – mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln der nächst höheren Schicht nach.
Die unterste Schicht, in der die Trachten entstanden sind, wollte dem wohl etwas eigenes, kostbares entgegensetzen. Doch erst mit Abschaffung der Kleiderordnungen entfalteten sich die Trachten richtig. Auch unsere Tracht im Bergwinkel wandelte ich im Laufe der Zeit. Der Ausdruck „Tracht“ wurde dabei nur selten von ihren Trägerinnen benutzt. Sie bezeichneten ihre Kleidung einfach als „Bäurisch“ – oder eben als „Kleider“.
Die Urform der Frauentracht im Bergwinkel dürfte den Trachten der Wetterau sehr geähnelt und dann ab 1840 eine eigene Form entwickelt haben. Nach zwei größeren Umbrüchen um 1870 und 1900 schliff sich die Tracht in den Jahren um 1920 ab.
Der Umbruch in den Kleidergepflogenheiten begann mit der Industrialisierung. In reichen Gegenden, wie zum Beispiel der Schwalm oder dem Ochsenfurter Gau, entwickelten sie sich weiter, wurden noch prunkvoller. In ärmeren Gegenden – wie bei uns im Bergwinkel – wurde die Tracht schlichter und städtischer. Die Männer legten, meist als erste, die Tracht um 1870 ab. Die Frauen folgten ihren Männern nach und verstädtischten ihre Kleidung. Dieser Vorgang erfolgte meistens mit einem Generationswechsel und nicht von heute auf morgen.
Leider versäumten unsere alten Heimatforscher, die Trachtensitte des Bergwinkels besser zu dokumentieren, sondern bedienten sich in dem ersten schriftlichem Dokument zu unserer Tracht, das der Lehrer Wolfgang Schmidt aus Jossa 1910 verfasst hat. Der Heimatbund Schlüchtern hat es in seinem Jahrbuch „Unsere Heimat“ veröffentlicht. Alle mir bekannten Texte zur Tracht geben exakt, sogar Wort für Wort ohne Angabe der Quelle, diesen Text wieder. Der zweite Text, der als Quelle diente, ist 1870 von H. Siemon aus Gundhelm geschrieben und in einem von Alfred Kühnert herausgegebenen Sammelband mit dem Titel „Im Land der armen Hansen“ veröffentlicht worden.
Kein Heimatforscher hat sich die Mühe gemacht, bei den letzten Trachtenfrauen in den Bergwinkeldörfern nachzufragen, um auf diese Weise ein umfassenderes Bild der Tracht zu bekommen. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts konnte ich noch mit älteren Frauen aus dem Bergwinkel sprechen, die zum Teil selbst als Kind und in ihrer Jugend, oder deren Mütter und Großmütter noch Tracht trugen, um so einige Gepflogenheiten unserer Tracht festzuhalten. Die Ergebnisse dieser Gespräche decken sich weitgehend mit der gängigen Literatur, mit einem wichtigen Unterschied: Es ist immer wieder zu lesen, dass die Bergwinkeltracht im wesentlichen Schwarz gewesen sei. Dagegen betonten die befragten Frauen, dass es viele bunte Elemente gegeben habe. Wahrscheinlich gibt die Literatur die letzte Form der Bergwinkeltracht wieder, die sich mit ihren dunklen Farben sehr stark dem wilhelminischen Zeitgeschmack angepasst hatte. Die älteren Formen waren sehr viel bunter.
Die Tracht kann man, nach Anlass, in drei Arten einteilen:
Werktagstracht
Halb-gute Tracht
Festtracht
Die Werktagstracht bestand im Allgemeinen aus pflegeleichter und waschbarer Kleidung, meist Blaudrucken aus Baumwolle, Beiderwand oder abgelegten halb-guten Kleidungsstücken. Zu ihr gehörten: schwarze Stümpfe mit geflochtenen Strumpfbändern, ein schmaler Knierock, ein aus Beiderwand oder Baumwolldruck gefertigter Unterrock –Unterhosen waren selten – ein Leinenhemd, ein Leib, heute würde man Mieder dazu sagen, ein Rock, eine Schürze, ein Kittel, so nannte man bei uns früher die Werktagsjacke, Halstuch und Kopftuch. Eine regionale Besonderheit ist bei dieser Arbeitstracht nicht zu erkennen, da sie zweckmäßig und robust sein musste. Als Schuhwerk dienten Holzschuhe und im Haus die „Fürbes“, „Dappe“, „Labbesocke“ oder auch Strohschuhe.
Im Sommer, zur Heu- und Getreideernte, gab es ein leichtes aus Leinen gefertigtes Heumacherkleid. Es war bei der Sommerhitze angenehmer zu tragen. Leider konnte sich keine der befragten Frauen an die genaue Machart erinnern. Dazu kam ein einfaches weißes Kopftuch, in das über der Stirn Pappe oder eine Zeitung eingeschlagen wurde, so dass es eine Schuben-ähnliche Form bekam und dem Gesicht Schatten spendete. Hinten fiel es lang über den Nacken und schützte so auch hier vor der Sonne. Das Tuch wurde entweder mit einem eingenähten Band unter dem Kinn befestigt oder einfach mit Nadeln ins Haar gesteckt und fiel dann auf allen Seiten luftig herab. Zum Heumacherkleid gehörten auch die so genannten „Ströppärmel“ , die die Arme vor dem stechenden Heu und vor Disteln schützten. Es handelte sich um einfache grobe Leinenärmel, die über dem Ellenbogen und am Handgelenk festgebunden wurden.
Als halb-gut bezeichnete man die Kleidung für Sonntage, Besorgungen über Land, die Spinnstube und für den Tanz. Sie bestand aus: blauen Wollstrümpfen, manchmal mit weiß-roten Zwickeln, einem schmalen Knierock. Ab 1900 gab es auch Unterhosen. Geschlossen bezeichnete man sie damals wie heute als Rhönbomber, die offene Form, der Stehbrunzer, ist heute dagegen weniger bekannt. Weiter bestand die halb-gute Tracht aus einem Leinenunterrock, Leinenhemd, einem Leib mit Borte, einem Rock, einer guten Woll- oder Halbseidenschürze, einem Zier-Schürzenband, einem Wollmusselintuch, das entweder unifarben, bestickt oder mit Rosenmuster bedruckt sein konnte oder einem Leib-Und-Seelen-Wärmer. Das ist ein gehäkeltes oder gestricktes Tuch. Dazu kamen Handstaucher, bestickte Strumpfbänder und Schuhe aus Leder oder besticktem Stramin sowie die „Kappe“, das war im Bergwinkel die Bezeichnung für die Haube .
Für die Tanztracht gibt es aus dem Jahr 1870 eine genaue Beschreibung von H. Siemon aus Gundhelm: Ein schneeweiß gebleichtes Hemd, hellblaue wollene Strümpfe mit weiß-roten Zwickeln und drei Röcke. Der untere aus Beiderwand wog 3,5 kg, der mittlere aus so genanntem Schiftig wog 4,5 kg der obere aus reiner Wolle 4 bis 5 Kg. Das Wort „Schiftig“ ist aus dem englischen „Cheviot“ abgeleitet und bezeichnet einen glatten feinen Wollstoff. Darauf trug man eine bedruckte Schürze aus Breittuch, die noch einmal 1 bis 1,5 kg wog. Die Oberbekleidung bildete ein Leib und ein rotes Halstuch. Bei diesem Gewicht kann man sich gut vorstellen, dass diese Form sich schon zehn Jahre später änderte. Nun wurde ein leichter Leinenunterrock und nur noch der Wollrock getragen. Die Schürze aus Breittuch wurde durch eine halbseidene ersetzt. Hinzu kam ein mit Rosen bedrucktes Wollmusselintuch mit einer Größe bis zu 1,60 mal 1,60 Metern. Die Breittuchschürzen fanden, da sie robust waren, jetzt eine neue Verwendung in der Spinnstubentracht. So ergab sich eine Aufwertung der Tracht, obwohl sie im Ganzen schlichter wurde.
In der Spinnstube, die man von November bis März abhielt, wurde gearbeitet. In kleineren Dörfern trafen sich dabei auch Jungen und Mädchen gemeinsam. Das von den Eltern festgelegte Arbeitspensum musste hier aber ebenso erfüllt werden wie in den nach Geschlechtern getrennten Spinnstuben der größeren Dörfer. Deswegen haben auch viele Jungen am Spinnrad gesessen, Strümpfe gestrickt oder Dabbensolen gesteppt. Manche mussten auch zuhause ihrem Vater beim Körbe Flechten, Besen binden oder beim Erstellen von Landwirtschaftlichen Gerätschaften helfen.
Die Mädchen trugen zur Arbeit in der Spinnstube nur einen leichten Leinenunterrock und einen Wollrock, Leinenhemd, Bortenleib, ein kurzes Seidentuch und die schon erwähnte Breittuchschürze. Wenn es sehr kalt war, zogen sie noch einen Leib-Und-Seelenwärmer an.
Das in unseren Köpfen existierende romantische Bild von der Spinnstube gab es eigentlich nur zur sonntäglichen Gesellschaft. Dann versammelte sich die Dorfjugend, und es wurde mehr getanzt und gespielt als gearbeitet.
Als „gute“ Kleidung wurde die Festtagstracht bezeichnet, die zu allen kirchlichen und weltlichen Festen getragen wurde.
Wollte sich eine Frau „gut“ anziehen, brauchte sie weiße Baumwollstrümpfe, einen weißen Leinenunterrock, Unterhose oder Knierock, Leinenhemd, Leib mit Borte, Mittelrock, Tanzrock, einen geglänzten Oberrock , Seidenschürze, Seidenbrusttuch, das „Zippje“, so nannte man ein Einlegetuch oder ein kleines Halstuch, das aus Wolle, Seide oder letztlich jeder Art Stoff bestehen konnte. Dazu kamen ein buntes Schürzenband in Jacquard-Weberei, ein weißes Taschentuch, eine Samttasche in Form eines Pompadour-Beutels, Handstaucher oder gestrickte Fingerhandschuhe, bestickte Strumpfbänder, Straminschuhe oder Lederschuhe und die „Kappe“.
Die wertvollste Festtracht war die Abendmahlstracht, die zu allen hohen kirchlichen Festen, die mit dem Abendmahl verbunden waren, angelegt wurde. Die Abendsmahlstracht war schwarz. Zu ihr gehörte der beste Motzen, der beste Rock und eine seidene Schürze mit Tuch. Das Schürzenband bestand aus schwarzer oder schwarz-weiß gemusterter Jacquard-Weberei. Die Strumpfbänder waren, wie bei der zur Tieftrauer getragenen Tracht, schwarz geflochten. Die gestrickten Handschuhe oder Staucher waren ebenfalls schwarz. Alls einziger heller Farbtupfer fungierte das weiße Taschentuch und das weiße, mit der typischen Hessenstickerei versehene Tuch, das zum ersten Mal bei der Konfirmation getragen wurde. Zum Abendmahl legte die Frau es als Dreieck über die Kappe und band es wie ein Kopftuch unter dem Kinn zusammen. Die Spitze fiel aber nicht nach hinten sondern nach vorne und bedeckte das halbe Gesicht. Diese Form ist mit Ablegen der Kappe verschwunden und wurde nur noch von den älteren Frauen bis um 1900 beibehalten.
Zu allen anderen kirchlichen und weltlichen Festen wurde die dem jeweiligen Lebensalter der Frau entsprechende Farbe getragen, es sei denn sie befand sich in Trauer.
Die Grundfarbe der Hochzeitstracht war Schwarz. Als Schürze nahm man die wertvollste, die schwarze Abendmahlsschürze. Dazu kam das weiße bestickte Tuch von der Konfirmation, das die Frau nun zum letzten Mal als Brusttuch trug. Es stand als Zeichen für die ehrbare „reine“ Frau. Zur Ausstattung gehörten auch weiße Schürzenbänder und ein weißes Taschentuch, das an den Schürzenbund gesteckt wurde. Als Kopfbedeckung wurde der so genannte „Schappel“ getragen, eine Brautkrone aus Glaskugeln, Messingflitter, Golddraht, Spiegeln, Stanniolpapier, Wachsblumen und –perlen, Federn und rotem Moiréband. Daran wurde das „Geschappel“ befestigt. Es bestand aus mehreren fächerförmig zusammengenadelten Seidenbändern. Direkt nach der Trauung wurde die Braut umgekleidet. Sie erhält nun ihre grüne Garnitur, und die weltliche Feier konnte beginnen. Den Schappel durfte die junge Frau noch rund einen Monat ohne das „Geschappel“ zur Kirche tragen, denn sie war in den Flitter-(!) Wochen. Ab etwa 1880 heiratete man dann nur noch mit einer schwarzen Schürze, ohne Brusttuch. Statt des Schappels trug man nun einen Wachsperlenkranz. Um 1900 fiel auch das schwarz-seidene Schultertuch weg, ab 1910 wurde allmählich auch der moderne weiße Schleier ins Haar gesteckt.
Die Konfirmationstracht unterschied sich von der normalen Kinderkleidung durch die weiße Schürze und das weiße, mit Hessenstickerei versehene Brusttuch, das auch noch nach der Hochzeit zum Abendmahl und zur Trauer getragen wurde. Bei der Konfirmation erhielt ein Mädchen seine „Kappe“. Mit Ablegen der „Kappe“ kamen Wachsblumenkränze auf, die ins Haar gesteckt wurden.
Um 1900 gingen viele Dörfer dazu über, ihre Töchter nicht mehr in der althergebrachten Form in Weiß zur Konfirmation gehen zu lassen sondern ganz in schwarz wie beim Abendmahl. Im östlichen Sinntal gingen die Mädchen übrigens noch bis in die 1980er Jahre mit Blumenkränzen im Haar zur Konfirmation
Es gab den Brauch des so genannten „Petterlamms“. Der Pate schenkte dem Kind ein Lamm, dem man, je nach finanziellen Möglichkeiten, entweder ein Seidenjaquardband oder ein Seidentuch umgebunden hatte. Auf diese Weise erhielt das Kind sein erstes eigenes Stück Trachtenkleidung. Wenn das Lamm später geschoren oder geschlachtet wurde, gehörten die Einkünfte daraus dem Kind. Der Pate schenkte dem Kind auch immer wieder zu Weihnachten und zur Kirchweih die gerade benötigte Kleidung.
In der Trauerzeit wurde auch das Bekleidungsverhalten geändert. Es gab ein unausgesprochenes Gesetz, nach dem beim Tode der Eltern 13 Monate, nach dem Tod eines Kindes ein Jahr, bei Geschwistern ein halbes Jahr und bei Onkeln und Tanten oder Anverwandten vier Wochen Schwarz zu tragen war. Starb ein Kind zwischen Konfirmation und Hochzeit oder starb der Ehegatte, trug eine Frau lebenslang Schwarz – selbst wenn sie ein zweites mal heiratete. Es gibt Berichte, dass in machen Dörfern die engsten Nachbarn einen Monat lang mit trauerten.
In der ersten Trauerphase, der Tieftrauer, wurden nur matte, im Bergwinkel sagte man „stumpfe“, Röcke und Motzen ohne Zierrat getragen. Auch Schürzen und Tuch, selbst der Kappenboden war mattschwarz. Zur „Leich“, dem Begräbnis, wurde das weiße gestickte Abendmahlstuch mit der Spitze nach hinten um die Kappe gebunden. Die Trauerkappe hatte keine Bandgarnierung. Frauen, die die Haube schon abgelegt hatten, trugen nun ein schwarzes Kopftuch.
In der zweiten Trauerphase durften glänzend schwarze Schürzen und Tücher ohne Muster getragen werden. In der nächsten Phase verwendete man schwarz gemusterte Schürzen und Tücher. Auch durften jetzt die Röcke und Motzen mit Samtband verziert und auch schon mal Grau sein.
In der letzten Abtrauerphase durften wieder braune Kleider getragen werden, Schürze und Tuch konnten dezent dunkelgrün oder violett gehalten sein. Wer es sich leisten konnte, schob zwischen diese vierte und die dritte Abtrauerphase noch eine weitere ein und trug etwa vier Wochen lang schwarz-weiß gemusterte Schürzen und Tücher. Wer sich die für die eine Abtrauerphase nötigen Trachtenteile nicht leisten konnte, verblieb entsprechend lange in der tieferen Trauerstufe.
Kindstaufen und Hochzeiten hoben die Trauer auf, was sich in einem noch heute gebräuchlichen Spruch erhalten hat. Dies galt aber nur für diesen einen Tag.
Der Stoff, aus dem Röcke und Motzen hergestellt waren, wurde in der Region gewebt und schon im 16. Jahrhundert, als ein Exportartikel des Bergwinkels, „Schlüchterisches Tuch“ genannt. Die gebräuchliche Farbpalette enthielt Grüntöne von Flaschen- bis hin zu Petrolgrün oder Blautöne von Veilchen- zu Dunkelblau und Violett, es gab auch Brauntöne sowie Grau und Schwarz. Die Farbe Rot war als Grundton verpönt, denn sie galt als katholisch.
Die jungen Frauen trugen Grün und ab ca. dem 30. Lebensjahr, hier gibt es keine genauen Angaben, Blau. Sobald das erste Kind zur Konfirmation gegangen war, wechselte eine Frau zu Violett; ebenso wenn ein Kind vor seiner Konfirmation starb. Braun trug eine Frau zur Abtrauer oder wenn sich die Familie bunte Farben nicht leisten konnte. Denn auf Braun durften Schürzengarnituren jeder Farbe getragen werden. Auch daran konnte man ablesen, über wie viel Einkommen die Familie verfügte.
Die Kindertracht hatte keine spezielle Farbe, Kinder zogen das an, was übrig blieb. Das Mädchen bzw. die junge Frau trug bis zu ihrer Hochzeit ihre Konfirmationstracht als Festtracht.
In den katholischen Dörfern des Bergwinkels entwickelte sich keine eigene Tracht, es gab aber Unterschiede bei den Kirchenfesten. Schwarz war allein der Trauer vorbehalten, es gab keine Abendmahlstracht. Bei der Festtracht wurden auch rote Seidenstoffe und Tücher verwendet. Die Leib-Und-Seelen-Wärmer waren meist bunter bestickt.
Rock und Motzen waren immer aus demselben Stoff gefertigt, Schürze und Brusttuch auf deren Farbe abgestimmt. Insgesamt sprach man jeweils von einer Garnitur. Je nach Stand und Vermögen variierte deren Anzahl beträchtlich. Arme Frauen besaßen meist nur zwei schwarze Garnituren. Von einer wohlhabenden Bauerntochter aus Wallroth ist im Gegenzug belegt, dass sie in ihrer Aussteuer 14 komplette Garnituren hatte. Für reichere Regionen wäre das relativ wenig, im Bergwinkel war dies großer Reichtum.
Eine bestimmte Winter-Tracht gab es nicht, man verwendete aber Motzen, die mit angerauten Stoffen gefüttert waren. Wer noch die „Kappe“ trug, ließ die Bandgarnitur weg und schlug ein Wolltuch um. Ansonsten wurde nur das Wolltuch, „Schoale“ oder „Baldin“ genannt, um Kopf und Schulter angelegt. Später kamen dann die käuflich zu erwerbenden Chenille-Kappen auf. Ebenso fand die Pelerine als modisches Kleidungsstück Einzug ins Kleidungsverhalten und wurde bis ca. 1920 getragen.
Schmuck gab es so gut wie keinen. Eine Frau trug den Ehering, eine Kette mit einem Kreuz, eine Brosche – selten in Gold, meist in Silber – und eine aus Glasperlen gefertigte Kette. Zur alten Tracht bis ca. 1870, bei der der Motzen noch keinen Stehkragen hatte, gehörte noch ein Kropfband, ebenfalls aus Glasperlen. Das Kropfband wurde danach nur noch zur Tanztracht getragen und allmählich durch die bequemere locker sitzende Kette ersetzt.
Die Trägerinnen achteten sehr darauf, dass ihr Brusttuch oder auch das kleine Schultertuch nicht über die Schultern fiel. In den Sommermonaten, für sonntags Mittags gab es noch den Ausdruck „hemdsärmelig“: Für einen Dorfspaziergang wurde wieder die gute Kleidung inklusive Kappe angelegt, der Motzen wurde aber weggelassen.
Das zur halbguten Tracht getragene, vorne kreuzweise gebundene Brusttuch, das ursprünglich hellgrundig war, fiel mit der Zeit immer dunkler aus, so dass die Grundfarben Schwarz und Braun vorherrschten. Stickereien und Rosenmuster wurden aber beibehalten.
Um 1870, mit Erneuerung der Tracht, wurden für den Motzen, der bisher aus dem „Schlüchterischen Tuch“ gewebt war, andere, leichtere Stoffe bevorzugt. Er endete nun auch nicht mehr, wie bisher, auf Taillenhöhe, sondern wurde länger und erhielt ein Schößchen und einen Stehkragen. Die Knäuelärmel wurden im selben Zug immer schmaler. Beim Motzen gab es zwischen der älteren und der neueren Form viele Übergangsformen.
Die Röcke waren auf der Vorderseite unter der Schürze glatt, hier konnte aus Sparsamkeitsgründen ein einfaches Stück Leinen eingesetzt sein. An der Seite und hinten wurde er ursprünglich gereiht. Um 1860 wurden eine Zeit lang auch karierte Stoffe für den Rock verwendet, die sich aber nicht auf Dauer durchsetzten.
Ab etwa 1870 legte man den Stoff an den Seiten in nach hinten gerichtete, große Kellerfalten. Die Rückseite des Rocks bestand ab dieser Zeit aus ca. einem Meter Stoff, der auf eine Breite von 15 bis 20 Zentimetern zusammengerafft wurde, um ihm ein Volumen zu geben, das dem städtischen Cul de Paris ähnelte.
Bei der älteren wie bei der neueren Form hatte der Rock einen Umfang von drei bis vier 90 cm breiten Stoffbahnen. Auch konnten bis zu vier Aufschläge, selten auch mehr, eingearbeitet werden. In der älteren Form reichte der Rock bis zur halben Wade, später bis zur vollen Wade. Für den Rockbesatz gab es keine festgelegte Form. Meist wurde der Rock zum unteren Rand hin mit einer bis zwei Reihen Samtband, Posamentenborte, Jaquardband oder schwarzer Tüllspitze geschmückt. Der Saum wurde meistens zur Schonung mit einer Besenborte, Kordel oder Schrägband eingefasst. Die einzige Ausnahme wurde beim Trauerrock gemacht, der keinen Besatz hatte und bei dem der Saum einfach umgeschlagen wurde.
In den Jahren um 1860 kam, wie in ganz Europa, auch im Bergwinkel das so genannte Mailänder Tuch in Mode. Es wurde aber sehr schnell von Tüchern mit Rosenmuster abgelöst.
Um 1870 begannen die Frauen, Brusttücher und Hauben abzulegen. In der Zeit bis um 1900 fand man deshalb viele Trachtenformen zugleich vor: langer oder kurzer Motzen, Brusttuch oder keines, die verschiedenen Rockformen und auch verschiedene Frisuren.
Der nächste Umbruch begann um 1900. Da jetzt längst nicht mehr in allen Häusern gewebt wurde, kauften viele Tuchstoffe und ließen ihre Röcke daraus nähen. Bedingt durch die Mode wurde nun Schwarz bevorzugt. Man wollte den wilhelminischen Stil kopieren, und viele ältere Röcke wurden umgearbeitet. Man entfernte die Aufschläge, um die nun modische Länge zu erhalten. Ursprünglich reichten die Röcke bis zur halben Wade oder maximal bis zum Knöchel. Jetzt mussten sie bodenlang werden. Auch halbierte oder viertelte man die Rockbreite, um so eine schlanke Silhouette zu erhalten und färbte die bunten Röcke schwarz.
Die Werktagstracht hielt sich länger als die gute und halb-gute Form. Auch Frauen, die sich schon modern, man sagte „städtisch“ anzogen, trugen bis in die 1930er Jahre bei der Haus-, Hof- und Stallarbeit die althergebrachte Kleidung.
Auch bei der Frisur gab es einen Wandel, in dessen Folge die Haube verschwand. Ursprünglich trugen Frauen ihren Haarknoten noch auf dem Vorderkopf direkt über der Stirn. Das war der so genannte „Schnatz“, der mit der „Kappe“ bedeckt wurde und der ihr Halt gab. Die „Kappe“ war um 1860 kegelförmig, oben schmaler als unten, Breite und Höhe konnten variieren. Sie wurde von einem gestickten Haubenspiegel oder von in Falten gelegten Seidenbändern abgeschlossen. In Sterbfritz soll es auch eine solche Kappefrau gegeben haben. Die Frau band sie mit zwei Moirébändern unter dem Kinn fest, außerdem fielen rechts und links zwei Schlaufen bis auf die Schulter. Die Enden der Bänder, aus denen die Schlaufen gebunden waren, ließ man hinten über den Rücken fallen. Je nachdem, wie viel sich die Familie leisten konnte, fielen sie dort länger oder kürzer aus. Bei ärmeren Haushalten hatte auch nicht jede Haube eigene Bänder, sondern sie wurden mit Nadeln zwischen den für die verschiedenen Anlässe vorhandenen Hauben umgesteckt.
Mit dem Konfirmationsjahrgang um 1868 kam eine neue Frisurenmode auf. Der „Schnatz“ auf dem Vorderkopf wurde zunehmend als altmodisch angesehen. Die Frauen scheitelten nun ihr Haar und legten es in Zöpfen im Kreis um den Hinterkopf, oder sie banden die beiden Zöpfe zu einer Nackenrolle. Die „Kappe“ war damit passé. Statt dessen schmückte nun ein schwarzes Samtband das Haar. Es wurde über den Oberkopf gelegt und im Nacken zusammengebunden.
Bei der Männertracht gab es nicht so viele Feinheiten. In der Regel gab es Arbeitsbekleidung und gute Kleidung. Die erste Garnitur war für Sonn- und Feiertage vorgesehen, eine zweite, meist etwas ältere, wurde „gewöhnlich-gut“ genannt und zu Anlässen wie Besorgungen über Land, die Spinnstube, zum Tanz oder zu Begräbnissen getragen. Auch wurde nach dem Gottesdienst die zweite Garnitur angelegt, um die erste zu schonen.
Zur guten oder gewöhnlich-guten Kleidung gehörten ursprünglich: ein weißes Leinenhemd, möglichst mit weiten Ärmeln, eine Weste aus blauem Tuch, die man auch „Kamisol“ nannte, eine hirschlederne Kniebundhose ohne viel Zierrat, blaue Wollstrümpfe oder, an Festtagen, weiße Baumwollstrümpfe. Die Burschen trugen dazu einen aus dunkelblauem Tuch gefertigten Motzen und eine pelzverbrämte Kappe, deren Kappenboden mit einer Silberlitze in Kreuzform verziert war und auf dessen Mitte eine Quaste senkrecht nach oben stand. Die verheirateten Männer trugen statt der kurzen Jacke einen dunkelblauen Kirchenrock, der mit vielen blanken Metallknöpfen versehen war. Als Kopfbedeckung diente ein großer schwarzer Schaufelhut, dessen Krempe an der einen Seite ganz hochgeschlagen und auf der anderen Seite von zwei durch Löcher gezogenen Schnüren gehalten wurde. Für die Spinnstuben und Sonntage gab es auch eine einfachere Hauskappe, meist aus Samt oder Feinkrimmer mit Straminstickerei. Während der Arbeit trug man oft eine einfache Kappe aus Webpelz als Kopfbedeckung.
An kalten Tagen zog man zusätzlich eine als „Wams“ oder „Önnerärmelsding“ bezeichnete Strickjacke an. Ein fransenloses Wolltuch um dem Hals und Pulswärmer rundeten das Bild ab. Am Fuß trug man Lederschuhe mit Schnallen oder auch Straminschuhe. Reiche Bauern trugen an Sonn- und Feiertagen auch Stiefel.
Auch die Männertracht unterlag Wandlungen. So wurden ab 1870 statt der hirschledernen zunehmend die sogenannten Röhrenhosen aus schwarzem Tuch getragen, deren hoher Bund aus der Zeit des Empires bis um 1900 unverändert beibehalten wurde. Der lange Kirchenrock wurde durch einen schwarzen Gehrock, den so genannten „Gehstehinnermich“ ersetzt. Statt des Schaufelhuts kam der Zylinder zunehmend in Mode, oder aber an normalen Sonntagen und bei Gängen über Land ein schwarzer runder Filzhut oder die Kappe aus Webpelz. Die Burschenkappe kam aus der Mode und wurde gänzlich abgelegt. Anstelle der Tuchwesten kamen jetzt auch Samtwesten auf. Die kurze Jacke der Burschen wurde der Mode unterworfen: Statt des Stehkragens hatte sie nun einen Umschlagkragen und wurde länger, insgesamt Jackett-ähnlicher. Jetzt trugen sie auch die verheirateten Männer zum sonntäglichen Kirchgang. Die gestickten Hosenträger, meist ein Verlobungsgeschenk, sah man sehr selten durchblitzen. Um 1910 wurden sie allmählich von den bequemeren Gummihosenträgern verdrängt.
Um ca. 1890 hatten die meisten Männer die Tracht völlig abgelegt. Doch kurioserweise überlebten ein paar Teile. So gingen in den 1920er Jahren noch immer Männer mit „Sammetschuh und Kapp“ und gestickten Hosenträgern sonntags mittags in die Gastwirtschaft zum Kartenspielen und Biertrinken.
An den Werktagen trugen die Männer ihre abgetragenen Hosen oder eine eng geschnittene, an der Seite geknöpfte Leinenhose. Später kamen auch Manchester-Hosen auf. Statt der weißen Leinenhemden zog man solche aus blau- oder grau-weiß gestreiftem Baumwoll- oder Leinenstoff an, möglich war auch grobes naturfarbenes Leinen. Darüber streifte man ein altes Kamisol und eine kurze Jacke. Auf dem Kopf trug man die Webpelzkappe. Dazu kamen ein rot gemustertes Halstuch aus Baumwolle und eine Schürze in der Art einer heutigen Winzerschürze, deren untere linke Ecke mit dem Schürzenband hochgebunden wurde.
Zur Arbeitstracht gehörten bei den Männern Holzschuhe, selten auch abgelegte Lederschuhe. Im Haus trugen sie „Fürbes“ „Dappe“ oder „Labbesocke“, selten auch Strohschuhe.
Literatur
Carl Hessler, Hessische Volkskunde, Verlag Wolfgang Weidlich, Frankfurt Main 1979 (Unveränderter Nachdruck der Originalausgabe von 1904), ISBN 3-8035-1037-6.
Elisabeth Johann, Trachten in der Wetterau. Auf der Suche nach einer vergangenen Welt, Mittelhessische Druck- und Verlagsgesellschaft, Gießen 1995, ISBN 3-924145-17-2.
Alfred Kühnert, Im Land der armen Hansen. Bergwinkel-Studien, Verlag H. Steinfeld Söhne, Schlüchtern o. J, S. 19-25, 40.
Wolfgang Schmidt, Über ehemalige Tracht und Kleidung der Bewohner des Kreises Schlüchtern, in: Unsere Heimat. Mitteilungen des Heimatbundes, Verein für Heimatkunde und Heimatpflege im Kreise Schlüchtern, in den Jahren 1908-1912, Bd. 1, S. 92f.
Andreas Seim und Siegfried Becker, Volkskundliche Skizzen von Rudolf Koch (1856-1921), Jonas Verlag, Marburg 2000, ISBN 3-89445-244-7.
Ilse Werder und Susanne Gries-Engel, Frauen in Schlüchtern damals und heute. Ein Buch zur 1000jährigen Wiederkehr der ersten urkundlichen Erwähnung der Bergwinkelstadt, Rechte beim Archiv Frauenleben Gelnhausen, Druckort Schlüchtern, o. J, ISBN 3-923766-14-9.
Hans Werth, Das Ahnenkleid – ein Ehrenkleid! Plauderei über die „Bergwinkeltracht“, in: Schlüchterner Kreisblatt.
Gruppen, in denen die Tracht des Bergwinkels getragen wird:
Trachtengruppe des Vereins 1200 Jahre Elm e.V.
Heimatverein Oberkalbach e.V