von Ernst Müller-Marschhausen
Weit bis ins 17. Jahrhundert hinunter sind die Familiennamen der christlichen Sterbfritzer vollständig dokumentiert, und zwar in den Kirchenbüchern, deren ältestes 1683 begonnen wurde; zuvor gehörte Sterbfritz zum Kirchspiel Mottgers. In jenem Jahr erhielt die Sterbfritzer Kirchengemeinde den Status der Selbstständigkeit; zu ihr gehörten noch Breunings und Uttrichshausen. Von da an bis zum heutigen Tage beurkunden die Pfarrer in den Kirchenbüchern pflichtgemäß und mit großer Genauigkeit die „drei T“ - Taufen, Trauungen und Tod ihrer Gemeindemitglieder. Doch 1870 wird im Deutschen Reich das Kirchenbuch als amtliches und rechtsverbindliches Register durch die kommunalen Standesämter ersetzt. Von da an beurkunden nur noch sie offiziell Geburt, Eheschließung und Tod in der Gemeinde. Das Kirchenbuch wird gleichwohl bis heute weitergeführt, jedoch allein für innerkirchliche Zwecke. Die Auswertung von Kirchenbüchern, Standesamtsregistern und Schullisten ergibt interessante Einblicke in die Entwicklung der Familien unseres Dorfes. (1)
Sie
a) Die Neuen, das waren zum einen die Ortsfremden, die nur vorübergehend in der Gemeinde lebten, deren Namen jeweils nur für eine kurze Epoche in der Dorfgeschichte auftauchen, die, wie z. B. Lehrer, Apotheker, Pfarrer und Techniker, zugezogen waren und das Dorfleben mit gestalteten und durchmischten, aber nie heimisch werden wollten und nach dem Ende ihres beruflichen Gastspiels wieder wegzogen.
b) Die Neuen, das waren zum anderen jene Zugezogenen, die mit der Zeit im Dorf Wurzel schlugen, auf Dauer sesshaft und zu bodenständigen, „richtigen“ Sterbfritzern wurden. Diese Neuen waren es, die neue Ideen mitbrachten, was bei den Alteingesessenen dazu führte, dass auch sie sich in Habitus und Charakter fast automatisch neuen Strömungen anpassten.
Um es vorwegzunehmen: Die Häufigkeit des Familiennamens sagt nichts über den Rang aus, den jemand im sozialen Gefüge des Dorfes einnahm, und nichts über seinen Stand, ob er einer der wenigen Pferdebauern war und einen „Hof“ bewirtschaftete, ob er - wie die vielen - nur ein kleinstbäuerliches Anwesen sein eigen nannte oder sich und seine Familie als Kleinhandwerker oder Tagelöhner ernährte. Wenn wir nun die vielen Familiennamen der Sterbfritzer, der alten und der neuen, Revue passieren lassen und sie nach der Häufigkeit ihres Vorkommens in eine Rangreihe einordnen wollen, empfiehlt sich im Interesse der Überschaubarkeit und um die bestimmenden Entwicklungslinien sichtbar zu machen, folgendes Vorgehen:
Die Kirchenbücher reichen zwar, wie dargestellt, über 300 Jahre zurück, doch der Einfachheit halber wollen wir unsere Übersicht erst mit der Epoche um 1715 beginnen lassen und dann in Jahrhundertschritten die Zeit um 1815, um 1915 und schließlich die Zeit ums Jubiläumsjahr 2015 betrachten, wobei wir uns für die Zeit seit der Einführung der Standesämter auf die amtlichen Register stützen.
Damit die Listen überschaubar bleiben und nicht völlig aus dem Ruder laufen, begrenzen wir sie auf die jeweils 25 am häufigsten auftretenden Namen in einem Erfassungszeitraum.
|
1715 |
1815 |
1915 |
2015 |
|
1. |
Müller |
Müller |
Müller |
Müller |
|
2. |
Strott |
Blum |
Simon |
Hartmann |
|
3. |
Schreiber |
Heil |
Hartmann |
Heil |
|
4. |
Blum |
Simon |
Merx |
Röll |
|
5. |
Kraus |
Schäfer |
Heil |
Gärtner |
|
6. |
Schneider |
Hartmann |
Böhm |
Richter |
|
7. |
Zinkhan |
Strott |
Mack |
Schneider |
|
8. |
Dorn |
Euler |
Hebel |
Euler |
|
9. |
Schäfer |
Stang |
Sperzel |
Strott |
|
10. |
Rübsam |
Sperzel |
Bayer |
Roth |
|
11. |
Röder |
Muth |
Euler |
Bayer |
|
12. |
Pabst |
Böhm |
Gunkel |
Kreß |
|
13. |
Adrian |
Frischkorn |
Röder |
Sperzel |
|
14. |
Eckardt |
Hohmann |
Schwarz |
Kohlhepp |
|
15. |
Hartmann |
Marburger |
Hohmann |
Thölken |
|
16. |
Herche |
Merx |
Löffert |
Berkel |
|
17. |
Stang |
Schneider |
Kraus |
Kirst |
|
18. |
Kirchner |
Schreiber |
Auffahrt |
Maienschein |
|
19. |
Baus |
Röder |
Blum |
Nebenführ |
|
20. |
Daubert |
Schwarz |
Alt |
Simon |
|
21. |
Euler |
Kraus |
Keßler |
Kabischi |
|
22. |
Kraus |
Auffahrt |
Scheel |
Lauer |
|
23. |
Steinmacher |
Steinmacher |
Allenbrand |
Alt |
|
24. |
Simon |
Kirchner |
Weigand |
Kraus |
|
25. |
Lohmann |
Mack |
Frischkorn |
Merx |
|
In unserer Übersicht mit den jeweils 25 häufigsten Familiennamen finden wir die Namen von vier Familien, die über alle hier erfassten Jahrhunderte hinweg fortwährend ihren Platz in der jeweiligen Spitzengruppe behaupten. Ganz oben stehen Müller, Hartmann, Euler und Simon. Dichtauf folgen Strott, Röder, Merx und Kraus. Sterbfritzer Uradel könnten sie sich nennen, wären sie von fürstlichem Geblüt. Und neben ihnen gibt es Familien, die in früheren Jahrhunderten das Namensspektrum ebenso markant geprägt und wegen der Zahl ihrer Mitglieder vielleicht auch mal ein paar Generationen lang in der Dorfgemeinschaft das Sagen hatten, die aber heute nur noch mit wenigen Köpfen vertreten sind, wie etwa Schreiber, Böhm und Gunkel. Schon ganz in Vergessenheit geraten sind Namen wie u. a. Allenbrand, Daubert und Rübsam, und in den letzten Jahrzehnten haben sich aus dem Kaleidoskop der Sterbfritzer auch vertraute alte Namen wie Auffarth und Pabst verabschiedet.
Was weiter auffällt: Es fehlen, bis auf ganz wenige Ausnahmen, Familiennamen der vielen Neubürger in unserem Dorf, trotz der gewaltigen Sprünge in der Bevölkerungsentwicklung und der Einschnitte im dörflichen Sozialgefüge seit etwa sieben Jahrzehnten:
In den ersten Nachkriegsjahren kamen 800 Flüchtlinge und Vertriebene in unser Dorf.
In den 1970er Jahren setzte der Zuzug von sogenannten Gastarbeitern aus Südeuropa und der Türkei ein.
Zwanzig Jahre später begann der Zuzug von Spätaussiedlern, vornehmlich von Deutschen aus Russland.
Um die Jahrtausendwende verstärkte sich die Zuwanderung der Menschen, die im Zuge der globalen Migration – aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen – aus ihrer Heimat in Afrika oder Asien aufgebrochen sind. Derzeit leben 36 Nationalitäten in Sterbfritz, außer den „ungeklärten“. (2)
Wie gesagt: Die Namen der vielen zugewanderten Neuen tauchen noch nur vereinzelt in der Spitzengruppe auf. Nach wie vor sind es überwiegend uralte Sterbfritzer Familiennamen, die uns in der Häufigkeitsliste begegnen.
Weil so viele Familien denselben Namen hatten, gab es die Hausnamen. Ohne sie hätten man sich im Dorf nicht zurechtfinden können. Oft kannte man den Familiennamen gar nicht, nur den Hausnamen. Er bezeichnete jeweils das gesamte Anwesen, „Hof und Scholle“, also die Menschen, die darauf lebten, das Haus, die Scheune, den Stall, die Tiere und Äcker und Wiesen. Der Hausname war quasi der zweite Familienname. Allein an ihm orientierte man sich im Dorf. Man verwendet den Hausnamen selbst dann noch, wenn schon ganz andere Familien mit anderen Namen auf dem entsprechenden Anwesen wohnen, etwa Neubürger, die als Deutsche aus Russland in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zuzogen sind.
Die systematische Erfassung und Dokumentation aller Hausnamen in unserem Dorf und die Erklärung ihrer Herkunft und Geschichte stehen noch aus.
Zu den alten Sterbfritzern gehörten auch die Juden. Einer von ihnen, Heinz Schuster, geboren 1926 im Haus Nr. 12 in der Alten Schlüchterner Straße, hat den Stammbaum seiner Sterbfritzer Vorfahren bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt (3). In den Jahren des Nationalsozialismus wurden sie aus der Dorfgemeinschaft und ihrer Heimat vertrieben. Ein Drittel der in den zwanziger Jahren noch etwa 100 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde wurde deportiert und ermordet. Nicht ein einziger Überlebender hat sich jemals wieder in seinem Dorf niedergelassen. So spontan wir Namen wie Hartmann, Euler, und Simon den christlichen Sterbfritzern zuordnen, und bis heute Zeller mit Jossa und Eichholz mit Oberzell verbinden, so konnte man damals Schuster, Hecht und Goldschmidt selbstredend in Sterbfritz verorten. Die Familiennamen der jüdischen Bürger zurückzuverfolgen, ist nicht mehr möglich, da die Memorbücher der jüdischen Gemeinde (vergleichbar den christlichen Kirchenbüchern) verlorengegangen sind.
Anmerkungen